Der „Rideau de rösti “ oder der „Röschtigrabe“ ist eigentlich streng genommen der Fluss Saane. Für mich ist aber seit meiner Kindheit der „kleine Röschtigrabe“ halt eben die Sense, welche als Grenzfluss den Kanton Freiburg vom Kanton Bern trennt und das mitten im Fluss.
Schon Tage bevor man sich mit Rucksack, Kochtopf, Sackmesser, alte Zeitungen zum Anfeuern, Cervelat, Brot und kalten Tee aufmachte zum Abenteuer an der Sense hiess es von meiner Mutter: Baud gö mer zum Röschtigrabe – und das machte mir jedesmal unheimlichen Eindruck!
In der ersten Klasse nach den Sommerferien welche ich praktisch nur im meinem Röschtigrabe verbrachte, wurden wir alle über unsere Abenteuer befragt. Meine Gschpänli erzählten von Reisen ans Meer an die Côte d’Azur, nach Spanien und einer war sogar in Amerika. Aber keiner hatte so ein extremes Ferienabenteuer wie ich erlebt. Ich erzählte braungebrannt, mit Brandblasen an zwei Fingern verbunden mit Essigsaurer-Tonerde und voller „Brämebisse“ mit Stolz von meinen Abenteuern an der Sense, vom Baden im kalten Gantrischwasser, von den Lagerfeuern und den gebruzelten Cervelats, vom Staudammbau, vom Laichen der Frösche aus dem sich die Qualquappen entwickelten, bei denen man über Wochen beobachten konnte wie sie langsam Beine und Füsse bekamen und sich zum Frosch verwandelten und natürlich von der Fremde, da mir meine Mutter immer wieder sagte: „Lueg it’s bisch bim bade scho wider im angere Kanton gsi bi de Friburger“ das machte mir einen höllischen Eindruck – Abenteuer pur. Die Kehrseite des Abenteuers waren damals als es noch viele Insekten gab die „Bräme“ die Bremsen. An der Sense und am Schwarzwasser waren extreme Schwärme dieser Blutsauger unterwegs und wenn man sich nicht mit dem selber gemachten, stinkenden Nägeliöl (Nelkenöl) genügend eingerieben hatte war man plötzlich schwarz von diesen Quälgeistern. Diese Zeiten sind schon lange vorbei und Heute fliegt höchsten manchmal noch eine Wespe ums Lagerfeuer.
Später mit Familie, Freunden, Tochter und Sohn wurde diese Tradition weitergeführt. Wir verbrachten manchen Abenteuertag bei Lagerfeuer, beim Staudammbau, beim Baden und Fischen in dieser wunderbaren Wildnis. Aber es war natürlich nicht mehr das fremde Land Freiburg in der Flussmitte aus meinen Kindertagen.
Manch einer hat als gestandener Mann diese wilde Landschaft seiner Kindheit immer noch tief im Herzen drin, sitz manchmal alleine im Winter am Abend vor einem Lagerfeuer in der Senseschlucht und erholt sich bei einem gebratenen Steak und einem feinen Bier von den Wirren dieser Welt.
Wer als kleines Kind schon in dieser Abenteuerwelt Senseschlucht unterwegs war und von den Eltern mitbekam, dass diese Welt eben auch verletzlich ist und man Sorge tragen muss, seine Abfälle wieder mit nach Hause nehmen und nicht gedankenlos durch Tümpel und Auen trampeln, sondern achtsam sich auch der Natur und den Tieren in diesem einmaligen Biotop bewusst wird, der ist später vielleicht auf der ganzen Welt, mit anderen Augen unterwegs; aber er kehrt immer wieder, wenn es möglich ist auch nur in Gedanken zu seiner wilden Schlucht zurück, welche im in fernen Kindertagen seine grosse weite Welt war – sein kleiner Röschtigrabe.
„Am Ende fließen alle Dinge ineinander und aus der Mitte entspringt ein Fluss. Der Fluss wurde bei der großen Überschwemmung der Welt begraben und fließt aus dem Keller der Zeit über Steine. Auf einigen der Steine befinden sich zeitlose Regentropfen, unter den Steinen sind die Wörter. Doch einige Worte wird man nie verstehen.“
Quelle: Aus der Mitte entspringt ein Fluss, Film mit Robert Redford
Titelbild: Flug von der Sodbachbrücke aufwärts zu den „Senseflüe“ mit einer Flughöhe von 96 Meter über Grund. Man ist hier schon in einer einsameren Gegend im Canyon da sich nur wenige Besucher weiter als nötig von den Parkplätzen entfernen. Mit einigen Durchquerungen der Sense wird es immer abenteuerlicher und einsamer. Hier ist man schon auf dem Weg Richtung Plaffeien. Auf den Felsvorsprüngen wachsen zum Teil Alpenrosen welche auch den Luftweg aus dem Gebirge genommen haben. (Vorsicht auf den Senseflüen, hier gab es schon schreckliche Abstürze da die Felswände unvermittelt wie auf dem Bild in die Tiefe stürzen.)