Knall

Die ganze Schweiz zappelte vor Ungeduld: Der erste Überschallknall sollte von der Schweizerischen Luftwaffe ausgelöst werden und die Bevölkerung könne dies Hautnah erleben so hiess es im Berner Tagblatt. Die Schweizer Armee werde bei einer Flug-Demonstration eine Maschine des Typs Hawker-Hunter testen und das erste Mal hierzulande sollte ein gewaltiger Überschallknall zu hören sein.

Auch unsere ganzes Haus, die Familie und deren Freunde wurden vom Knall-Fieber gepackt, wollten natürlich mit dabei sein und schon Tage vorher waren heftige Debatten zu hören, wo und wie man dies am besten miterleben könne. Die eine Gruppe tendierten möglichst auf’s Guggershörnli zu wandern und die andere Hälfte sagte im Sensegraben sei man sicher was auch kommen möge und hören könne man den Knall alleweil überall. Mein Grossvater welcher den Aktivdienst während des Weltkriegs noch in den Knochen spürte war mit gemischten Gefühlen mit dabei tendierte aber auch für den Sensegraben da ein solcher Knall wie eine Bombe sei. Mein Onkel welcher damals aus dem Valle Maggia in Bern weilte feierte den Tag mit uns und seiner handgemachten grossen „Salame nostrano ticinese“ welche von uns mit Hochgenuss gegessen wurde.

Nun die Meisten entschieden sich wegen den Kindern dann doch dazu in den Sensegraben zu wandern – sicher ist sicher, da man dies auch noch mit gemütlichem Bräteln und Spielen verbinden konnte. Die Schweizer Armee wählte für dieses Abenteuer einen Samstag aus und das kam allen sehr gelegen. So zogen wir bei schönen warmen Herbswetter zur Bahnstation von wo uns der Zug zur Schwarzwasserbrücke brachte.

In voller Aufregung marschierten wir zur alten Schwarzwasserbrücke hinunter und von da Senseaufwärts und suchten einen geeigneten Platz für unser Vorhaben. Wir bauten eine Feuerstelle und die Erwachsenen halfen uns im Fluss eine riesige Staumauer aufzubauen. Grosse Steine wurde angeschleppt und nachdem wir auch genug Feuerholz beisammen hatten brutzelten schon bald die ersten Kartoffeln, Cervelats und Bratwürste auf dem Feuer und wir Kinder durften am Stecken noch grosse Scheiben Ruchbrot rösten.

Die Erwachsenen lagen nach dem Essen wie tote Fliegen auf ihren Wolldecken und machten einen Nachmittagsschlaf. Die Zeit strich unbemerkt vorbei und die grösseren Kinder die auf uns kleine Knirpse aufpassten fragten sich, ob den jemand diesen ominösen Mach-1-Knall schon gehört habe. Wir waren so in unsere Arbeit am und im Wasser vertieft, hämmerten und sägten an unseren aus Schwemmholz gebastelten Schiffen mit Segeln aus Zeitungspapier herum das wir kaum merkten das es langsam Abend wurde. Wir versuchten dann noch mit gezielten Steinwürfen unsere Boote zu versenken, was auch gelang da das Schwemmholz zum Teil noch durchnässt war. Der Fluss rauschte und die Steine murmelten ihr Lied dazu aber ein Knall – den haben wir bei allem besten Willen nie gehört an diesem Nachmittag. Nun wurde aufgeräumt und alles wieder in die Rucksäcke verstaut. Danach erreichten wir nach steilem Aufstieg die alte Beiz an der Schwarzwasserbrücke wo es für die Männer ein „Kafi fertig“ und für die Frauen und Kinder „e Chugle Ischcrem mit Nidle“ gab, dekoriert mit dem kleinen obligaten Sonnenschirm aus Papier und der kleinen dreieckigen Waffel, bevor wir alle hundemüde den Zug bestiegen.

Am Abend nach unserer Rückkehr sprachen einige Hausbewohner im Garten über den erlebten Überschallknall welcher auf dem Guggershörnli scheinbar gut zu hören gewesen sei. Da wurde uns allen bewusst und wir mussten neidlos eingestehen, dass wir unten im Sensegraben ganz vertieft in unser Spiel mitten im Flussrauschen und Steinemurmeln nichts wahrgenommen haben.

Jahre später gehörte auch ich zu dieser famosen Fliegertruppe leider nur zum Bodenpersonal. Die ersten Mirage Kampfflugzeuge donnerten uns schon mächtig um die Ohren und man hörte selten aber doch manchmal einen Mach 1 – Knall.

Das ist schon Jahrzehnte her aber als ich bei einer Schiessübung dabei war und die Piloten ihre Kunst zeigten, da sass ich im Gras auf der Axalp mit einem leisen Lächeln und wusste: Das Guggershörnli war damals als kleiner Knirps mit Familie eben doch die richtige Wahl und nicht der schützende Sensegraben – denn ausser dem Knall war niemandem etwas passiert, aber wir Kinder hatten einen wundervollen Abenteuertag in der Senseschlucht erlebt – der Schweizerarmee sei Dank.